www.Sozialgeschnatter.de

(beta)

Interview mit Stevan Paul: Schreibender Kulinariker

with 4 comments

Stevan Paul (Foto: Rene Supper / alle Rechte vorbehalten)

Stevan Paul (Foto: Rene Supper / alle Rechte vorbehalten)

Ich habe für die Nordspitze, die Mitgliederzeitschrift der Landesverbände Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Stevan Paul interviewt. Die aktuelle Ausgabe kann beim DJV Hamburg als PDF heruntergeladen werden, hier ist die Maxi-Version, quasi der „Director’s Cut“:

In seinem Genre passt der Begriff „Hans Dampf in allen Gassen“ ganz besonders: Stevan Paul schreibt für Zeitungen und Zeitschriften über Essen, verfasst Kochbücher, bloggt Autobiografisches und veredelt als Food-Stylist Speisen optisch. Dabei ist er als Journalist Quereinsteiger: Der gebürtige Ravensburger lernte in seiner Heimatstadt beim Sternekoch Albert Bouley und arbeitete dann fünf Jahre in deutschen Spitzenhäusern. Vor 15 Jahren wechselte er von der Küchentheke zum Schreibtisch und wurde mit Umweg übers Bloggen zum gefragten Autor.

Wann hast du zum letzten Mal wirklich schlecht gegessen?

Stevan Paul: Oh, das ist lang her, weil ich im Voraus immer genau plane. Und auch wenn ich zum Beispiel meine Restaurantkritiken mache für die Süddeutsche Zeitung, dann guck‘ ich schon im Vorfeld, dass es wahrscheinlich nicht der größte Reinfall wird, weil ich immer glaube, dass die Leserin und der Leser mehr interessiert sind an den Empfehlungen, und dass ihnen die Empfehlung mehr bringt als der Verriss. Obwohl sich der Verriss viel schöner schreiben ließe und lustiger wäre.

Wie würdest du dich selbst beschreiben?

Also, ich bezeichne mich als Kulinariker, um da eine Schublade zu finden für alles, was ich tue. Neben dem Schreiben arbeite ich auch in meinem alten Beruf als Food-Stylist, aber das wird immer weniger.

Dein noch älterer Beruf ist ja Koch. Du hast von 1990 bis 1995 in führenden Häusern der deutschen Gastronomie gearbeitet. Wie bist du dann in die Medienbranche übergewechselt?

Ich sag immer: 1995 gelang mir die Flucht, weil das Kochen zwar ein schöner Beruf ist, aber es ist doch nicht nur mit erheblichen Anstrengungen verbunden, sondern zu dieser Zeit war es auch so, dass der Ton in der Küche sehr unbehaglich war. Da habe ich mich immer gewundert, wie Leute so was Schönes auf Teller bringen können, die gleichzeitig so fürchterliche Grobiane sind. Ich hab da nicht reingepasst.

Und als ich das merkte, hab ich mir überlegt, Mensch, was machst du, und so bin ich zu essen & trinken gekommen, damals als Praktikant. Ich hatte Wartezeit zu überbrücken für einen Studienplatz in Heidelberg an der Hotelfachschule, ich wollte danach ins Food- & Beverage-Management gehen. Dazu ist es Gottseidank nicht gekommen, denn bei essen & trinken habe ich nicht nur einen Arbeitsplatz gefunden, sondern eben auch meinen jetzigen Beruf angefangen zu lernen.

Damals aber noch nicht als Autor?

Ich habe ganz klein in der Versuchsküche angefangen und erst mal Rezepte nachgekocht auf Gelinggarantie, und später bin ich dann selber in die Rezeptentwicklung eingestiegen. Damals war das noch so, dass auch die Mitarbeiter in der Versuchsküche einen so genannten Redakteursvertrag bekamen. Der war richtig knorke; es war aber nicht vorgesehen, dass einer der Köche plötzlich Lust hat zu schreiben.

Das war so ein bisschen mein ewiger Kampf, denn ich war zu einem Zeitpunkt in der Redaktion, wo die Oldies – das darf man ruhig sagen, die sind jetzt auch alle in Pension – nicht mehr so richtig Lust hatten rauszufahren, auf Pressereisen zu gehen, Geschichten zu erjagen. Da haben sie immer uns, die Jugend, geschickt, wofür ich sehr dankbar bin.

Aber am Ende durfte man dann gar nicht drüber schreiben, weil: „Schuster, bleib bei denen Leisten, wieso will denn der Koch schreiben?“ Das war damals wirklich sehr problematisch, und ich bin dann auch tatsächlich aus diesem Grund 2000 ausgeschieden, weil ich einfach dachte, Mensch, wenn man mich hier nicht lässt, dann muss ich’s selbst versuchen.

Wann hat der Koch denn gewusst, dass er schreiben kann?

Ich wollte immer schon Journalist werden, das war ein Berufswunsch seit meiner Kindheit. Ich habe mit Begeisterung die Serie „Lou Grant“ geguckt, und seit dieser Zeit war da dieser Wunsch. Ich hatte immer ein Talent zum Schreiben und hab das stets privat gepflegt; später auch auf Slams und Lesebühnen, da eben literarisch. Und mit dem Essen, mit der Kulinarik hatte ich dann auch so mein Thema gefunden.

Tatsächlich ging es dann erst nach essen & trinken mit dem Schreiben bei mir auch noch überhaupt nicht los, denn die Situation blieb die: Ein unbekannter Koch, wer will den denn buchen? Für mich war der Schlüssel, der sich umdrehte, 2009 der erste Erzählband „Monsieur, der Hummer und ich“ (Affiliate-Link). Da riefen plötzlich Redaktionen an und sagten: „Oh, kannst du über Essen schreiben, und kannst du vielleicht so schreiben, wie du’s in deinem Buch getan hast?“ Das war wunderbar für mich. Mit den Jahren ist das mehr geworden und hat sich gefestigt.

Stevan Paul (Foto: Daniela Haug / alle Rechte vorbehalten)

Stevan Paul (Foto: Daniela Haug / alle Rechte vorbehalten)

Vom Schreiben wollen bis zum tatsächlichen Schreiben kann es ja ein weiter Schritt sein. Wann hast du dich zum ersten Mal hingesetzt und etwas verfasst, bei dem du das Vertrauen hattest, es veröffentlichen zu können?

2006. Ich hatte das große Glück, mich bei den Höflichen Paparazzi ausprobieren zu dürfen, diesem legendären Forum, aus dem gute Geister entstiegen sind in Folge. Da wurde das gelehrt, da wurden deine Texte beurteilt, da gab es eine Streitkultur. Das war alles superinteressant. Später bin ich rüber zu Antville. Das Bloggen war schon immer Ausdruck der Sehnsucht, für ein Publikum schreiben zu wollen, einfach Freude am Erzählen. Beim Bloggen kam einfach noch der Spaß am Austausch dazu. Das hat mich sehr ermutigt. Und ich glaube, dass es beim Schreiben ist wie mit Sport: Du musst einfach trainieren. Und je mehr du schreibst, desto sicherer wird man.

Kannst du dich noch an den ersten veröffentlichten Text erinnern?

„Ich bekochte Wolfram Siebeck“. Ich saß damals vorm Rechner und guckte, was passiert jetzt. Mag das jemand, findet das jemand interessant? Ich hatte das große Glück, dass das gleich eine Menge Leute mochten, und das hat mich sehr ermutigt.

Wie sind die Leute damals auf dich aufmerksam geworden?

Ich war in dieser Blog- und Forenwelt ein bisschen das Kuriosum. Da war jemand, der sich mit Kochen und Küche beschäftigte. Das gehörte nicht unbedingt zu den Leitmotiven in diesen Foren. Die Food-Blogs waren noch weit weg; und ich hatte bei den Höflichen Paparazzi unter dem Namen Herr Uffelmann dann auch ein eigenes Forenabteil, bei dem sich über Küche ausgetauscht wurde.

Was ist für dich mehr Arbeit: Essen zu stylen oder Schreiben?

Arbeit ist es beides nicht. Das Essen geht mir nach wie vor flotter von der Hand. Beim Schreiben ist natürlich schon die Konzentration da, und die Exaktheit, und die Recherche und solche Geschichten. Das Kochen geschieht mehr aus dem Bauch raus. Das Schreiben ist wesentlich überlegter.

Feilst du stark an deinen feinen Formulierungen, oder fließt das einfach?

Erstmal fließt’s, und bis heute schlafe ich immer ’ne Nacht drüber. Es gibt keinen Text, den ich nicht einmal überschlafen habe. Und dann beginnt der Bastelkram, der manchmal wirklich viel ist. Und ich habe noch etwas eingebaut, und das ist wahrscheinlich dem geschuldet, dass ich das nie studiert habe: Ich gebe alles in ein Lektorat. Ich habe eine Lektorin, die bekommt immer ein kleines Sümmchen für jeden Text, der mein Haus verlässt. Das ist alles lektoriert, so dass die Redaktion einen sauberen, guten Artikel von mir bekommt,

Aber das Bloggen ist O-Ton Stevan Paul?

Bloggen ist Bloggen. Das darf auch Rechtschreibfehler haben, und da darf man auch mal Kommas nach Gefühl setzen. Das ist für mich schon noch der Unterschied. Bloggen war für mich immer schon freier, einfach „wusch“ und raus, sehr schön.

Dein erstes Buch enthielt vor allem Schwänke aus deinem Leben, später kamen dann zum Beispiel für Effilee noch Reportagen dazu. Macht es für dich einen Unterschied aus, ob du journalistische Auftragsarbeiten erledigst oder Sachen schreibst, die einfach so raus müssen?

Ehrlich gesagt, nicht so. Das sind alles Sachen, die raus müssen. Im ersten Erzählband gab es in der Tat sehr viele Schwänke aus meinem Leben. In „Schlaraffenland“ (Affiliate Link) ist es dann schon wesentlich fiktionaler geworden. Und für die Zeitungen und Zeitschriften schreibe ich natürlich Reportagen. Das hat aber immer sehr viel mit mir zu tun, es ist immer sehr unmittelbar. Denn ich erleb das ja, ich fahr da hin, ich guck mir alles selber an, ich esse das. Ganz oft kann ich das auch nicht unterscheiden: Habe ich das jetzt für die Berliner Zeitung geschrieben oder fürs Blog? Mir ist es einerlei. Wenn es interessant ist, soll’s raus.

Wie ist es vom Blog zum Buch gekommen?

Der Verlag hat mich angesprochen. Die hatten mich auf den Slams, auf den Lesebühnen gesehen. Also sie wussten, was und wen sie da eventuell kaufen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon eine kleine Ochsentour durch die deutschen Verlage gemacht. Dort nahm man das alles mit Begeisterung auf, aber alle haben gesagt: „Roman!“ Das übliche Debüt ist in Deutschland immer noch der Roman. Im angloamerikanischen Raum ist die Kurzgeschichte viel wohlgelittener, hier bei uns in Deutschland nicht so sehr.

Da war ich sehr froh, als die Mairischs sich an mich wendeten. Einfach ein toller Verlag! Die Bücher werden dort sehr nachhaltig behandelt. Es gibt ein großes Live-Moment in der Arbeit von Mairisch, das ich auch sehr mag. Ich bin wahnsinnig gern auf Tour, mittlerweile sogar mit meinen Kochbüchern. Da machen wir sehr, sehr schöne Abende, mit Essen und Lesen.

Was hat denn damals die Ochsentour durch die Verlage ausgelöst? War ein Punkt erreicht, an dem du versucht hast, aus den Blog-Beiträgen mehr zu machen?

Ja, die Schublade war voll, und ich hatte großes Glück, dass ich mit dem Hamburger Autor Gunter Gerlach einen Mann gefunden hatte, der bereit war, sich diese Kiste einmal komplett durchzulesen. Mit ihm entstand dann die erste Fassung von Texten, von denen er eben dann mir auch sagte: „Damit kannst du losgehen, da brauchst du dich nicht zu genieren.“ Ich weiß noch, dass da Texte zurückkamen. Da hat er einfach ganz groß „Warum?“ auf die erste Seite geschrieben, das war’s. Aber es waren dann doch ein paar Sachen dabei, die haben wir gebündelt, und dann bin ich los.

Ich bin eigentlich ganz froh, dass es dann Mairisch geworden ist. Ich weiß heute, wie die großen Verlage arbeiten und wie kurz die Bücher nur auf dem Markt aufblinken. Das machen sie bei Mairisch ganz anders. Toll!

Hat dir der erste Siebeck-Text schon die nötige Bestätigung gegeben, oder gab es später noch andere „Meilensteine“, die dir gezeigt haben, dass du auf dem richtigen Weg bist?

Nein, Selbstzweifel sind ein ständiger Begleiter von mir bis heute. Ich leide wie ein Hund, wenn ich was rausgebe und nicht weiß, wie das ankommt. Selbstzweifel sind ein irre starkes Motiv bei mir, ich bin nie sicher, nie zufrieden und freu mich dann aber auch ehrlich und aufrichtig über den Applaus, über den Erfolg. Wenn es klappt, dann kann ich das auch für mich selbst annehmen.

Je wichtiger das Internet wird, desto stärker wird Journalisten geraten, zu Selbstmarketingzwecken unter anderem ein Blog anzulegen. Empfiehlst du das Kollegen ebenfalls?

Ja, unbedingt, und zwar uneingeschränkt. Ich empfehle sowieso den meisten, ein Blog anzulegen. Das ist so spannend; das ist eine so schöne Form, sich mitzuteilen. Beim Journalisten sind Social Media generell für die Akquise hilfreich. Zweitens sind ja Journalisten oft schlaue Leute, die irgendwas aus einer Ecke vielleicht besonders gut wissen oder können. Wenn zum Beispiel Michalis Pantelouris mir im Blog und auf Facebook die Griechenlandkrise noch mal weiter erklärt, dann freue ich mich.

Für mich selbst und meine journalistische Arbeit ist es oft so: Ich leide enorm unter dieser Beschränkung auf Zeichenzahlen. Diese Verknappung hat mir beim Schreiben zwar sehr geholfen, aber ich glaube, gerade in der Kulinarik braucht es auch mal den ganz großen Schwung, ein paar Adjektive mehr, ein bisschen Zeit, eine Geschichte auch zu erzählen. Und die nehme ich mir im Blog. Meine Blogbeiträge sind manchmal echt unverschämt lang. Die Leute müssen sich das wirklich zu Gemüte führen wollen, aber das ist auch in Ordnung so.

Du selbst siehst ja Social Media nicht als Selbstmarketing-Pflichtübung, sondern sie machen dir wirklich Spaß.

Ja, es macht mir tierisch Spaß. Und das mit dem Selbstmarketing hat auch seine Grenzen, darum musst du immer Inhalte bieten. Ich habe zum Beispiel meine privat bezahlte Japanreise nicht an Zeitungen oder ein Magazin verkauft, sondern die gab es exklusiv als Mehrteiler mit Fotos in meinem Blog NutriCulinary.com. Da habe ich wirklich über die gesamte japanische Küche anhand von Beispielen geschrieben (Teil 1/2/3/4/5). Damit schaffe ich auch einen Mehrwert.

Diese Ausgewogenheit muss sein. Ich kann nicht nur dauernd im Blog meine Bücher hochhalten, sondern ich muss immer gucken, dass die Leute auch einen Mehrwert haben, wenn sie meinen Blog besuchen. Und dazu gehören für mich sorgfältig bearbeitete Sachen wie eben dieser Reisebericht aus Japan, Restauranttests, Buchbesprechungen, das ganze Ding.

Da hast du dich also gegen das Geld und für dein Blog entschieden?

Japan war für mich so beseelend und so nah, dass ich das kaum mit Abstand schreiben konnte und dann einfach gesagt habe: Dann geb‘ ich’s lieber pur raus und nehme diese ganzen Emotionen mit, die ich mir als Journalist vielleicht an der einen oder anderen Stelle hätte ein bisschen glatter bügeln müssen. Es ist sehr emotional gewesen, und das kann man am besten im Blog erzählen.

Bist du durchs Bloggen an Aufträge gekommen, die du sonst nicht erhalten hättest?

Das ist ganz interessant, denn meine Gratisausgabe Japan war im Grunde der Impuls dafür, dass ich ein paar Monate später nach Australien reisen und dort eine Reportage machen durfte. Tourism Australia sah durch die Japan-Strecke, so sieht es aus, wenn Stevan Paul über ein Land schreibt.

Du warst auch an Büchern von Tim Mälzer beteiligt. Siehst du dich in solchen Fällen als Ghostwriter?

Ich habe zwei Bücher von Tim mitproduziert, habe also auch in der Küche gestanden und später die Texte und Rezepte geschrieben. Das ist eine Team-Arbeit, die einen Riesenspaß macht. Die Inhalte kommen von Tim, das sind schon seine Rezepte. Ich habe das nur notiert. Bei „Heimat“ (Affiliate Link) habe ich zusätzlich aber auch die Produzentenporträts geschrieben.

Kochen wirkt selbst auf mich als Nichtkoch als eine sehr persönliche Sache. Ist es für zwei Köche schwer, sich aufeinander so einzugrooven, dass du die Rezepte eines anderen zu Papier bringen kannst?

Nein, gar nicht. Das ist ganz klar: Da kann es nur einen geben. Der Chef ist in diesem Fall Tim. Ich stehe daneben und frage: „So, Tim, was hast du da gerade gemacht?“ – „Öl in die Pfanne gegeben! Olivenöl.“ – „Ja, und wie viele Esslöffel?“ – „Ach, Stevan, einfach Öl!“ – Und ich so: „Nee, das geht so nicht!“

Er nannte mich selber mal das „Geodreieck des Kochens“ – wegen der Exaktheit. Ich steh nur daneben und notiere, was er tut, damit es dann später funktioniert.

Du hast in einem Interview gesagt, dass ihr die Fotos „weggeknüppelt“ habt. War das sehr viel Stress?

Ja. Die Arbeit mit Tim geht immer früh los. Wir fangen echt morgens um acht, neun Uhr an. Dann geht das bis in den Abend, danach wird gerne noch gegessen und gefeiert, und dann geht’s am nächsten Tag weiter. Diese Produktionswochen sind unglaublich voll und bunt und anstrengend, machen aber echt Freude.

Stevan Paul (Foto: Daniela Haug / alle Rechte vorbehalten)

Stevan Paul (Foto: Daniela Haug / alle Rechte vorbehalten)

Was für Erinnerungen hast du an deine Zeit bei Gruner + Jahr, wenn du sie mit der heutigen Selbstständigkeit vergleichst?

Es war die Insel der Glückseligen, unglaublich! Ich habe viel weniger gearbeitet als heute, ich habe jetzt einen ganz anderen Output. In einem Heft lag meine Aufgabe damals in der Betreuung von sechs, maximal zwölf Rezepten. Sechs Rezepte mache ich heute an einem Tag, am zweiten Tag schreibe ich sie.

Deutschland galt ja lange Zeit nicht unbedingt als das genussfreudigste Land. Wenn man sich modernere Koch- und Esszeitschriften wie Effilee anschaut, scheint sich das geändert zu haben. Hältst du das für einen echten Wandel, oder tauen sich die Leute insgeheim weiter zu Hause die Fischstäbchen auf, die sie mit Maggi pimpen?

Ich glaube, es gibt beides. Aber grundsätzlich stelle ich schon ein gesteigertes Interesse an Qualität fest, und an Geschichte: Woher kommt mein Fleisch? Das ist doch deutlich zu spüren. Craft-Bier, Street-Food und die neue Kaffeeszene sind drei Trends, die aus dem gleichen Geist geboren sind: „Wir haben euren Industriekram satt, wir machen das jetzt selbst, und wir machen es besser.“

Ich denke, wir haben aber in Bezug auf unprätentiöse kleine Restaurants immer noch Nachholbedarf in Deutschland – vor allem wenn ich das zum Beispiel mit dem kleinen Ausschnitt von Italien vergleiche, den ich kenne. Wenn man in einer Stadt wie Florenz nicht gerade in eine üble Touristenkaschemme reinstolpert, ist es so gut wie unmöglich, schlecht zu essen. Glaubst du, dass sich an der deutschen Esskultur (oder „Nicht-Kultur“) auf lange Sicht etwas ändern wird?

Nein, das glaube ich nicht. Die deutsche Küche ist ja ein großes Thema meiner Arbeit. Sie ist so reich und so schön, aber uns ist das Selbstbewusstsein sehr früh flöten gegangen. Und darum gibt es eben diese „Mama-Italien“-Küche, wo jeder hammergeil kocht, bei uns nicht. Dieses Alltags- und Versorgungskochen ist bei uns wirklich auf keinem guten Niveau. Das stimmt schon.

Welche Rolle spielt Musik in deinem Leben?

Eine Riesenrolle! Musik und Essen sind die zwei Leidenschaften.

Open Air - Das Festival- & Camping-Kochbuch

Das nächste Werk von Stevan Paul, „Open Air – Das Festival- & Camping-Kochbuch“, erscheint am 12. Februar 2016.

Gibt es da Parallelen, hörst du zum Beispiel Musik beim Kochen?

Ja! Ich habe ja sogar in meinem Blog die Rubrik „Küchenmusik“, wo ich erkläre, warum ich diese Musik zu diesem Essen höre. Musik ist auch der große Aufhänger in meinem nächsten Buch „Open Air – Das Festival- & Camping-Kochbuch“ (Affiliate Link). Da sind wir im Sommer 2015 mit dem Bulli einmal durch Europa gefahren und haben in fünf Ländern auf sechs Festivals gekocht, mit Künstlern fürs Publikum, alles live und draußen. Das wird sicher mein schönstes und persönlichstes Kochbuch, weil dort zusammenkommt, was ich wirklich lebe und wer ich bin.

Hast du ein persönliches Lieblingsgericht, oder ändert sich das?

Nee. Also, das ist das Wiener Schnitzel. Das könnte ich jeden Tag essen, das ist für mich das Schönste. Es ist so programmatisch für etwas vermeintlich Alltägliches, Einfaches. Der Teufel sitzt aber im Detail. Wenn du das richtig gut machst, sind das Welten! So was erfreut mich: das perfekte Wiener Schnitzel!

Kannst du beschreiben, was für dich den Reiz gerade dieses Gerichts ausmacht?

Ich glaube, das ist ganz normal aus der Kindheit. Wenn’s ein Schnitzel gab, war das auch immer mit einem Restaurantbesuch verbunden. Das war immer das Tollste: knusprig, saftig, buttrig – fantastisch! Selbst kalt auf Brot: genial!

Mir ist aufgefallen, dass auch Spitzenköche oft Kindheitsgerichte als Lieblingsspeisen nennen, obwohl damit selten kulinarische Höhenflüge verbunden sind.

Eventuell sind es keine kulinarischen Höhenflüge. Aber ganz eventuell ist es auch so, dass man diese Gerichte halt verklärt gesehen hat, und heute weiß man, wie man sie richtig geil auf den Teller bringt. Das macht auch großen Spaß.

Bist du Anhänger der rein puristischen Lehre? Ich hatte im Hamburger Schnitzelhus mal ein Kalbsschnitzel, das mit Blattspinat, frischem Knoblauch und Chili gefüllt war. Sind solche Experimente für dich akzeptabel?

Nein, reine Lehre, ganz klarer Fall! Reine Lehre! Also, das muss schönes Kalbfleisch sein. Ich schneide das dünn. Ich klopfe es nicht – das ist schon mal ein Unterschied wie Tag und Nacht. Die Brösel sind bitte selbstgemacht, aus gutem Weißbrot, und dann schön paniert. Es muss ein Schwupp Sahne ans Ei, der sorgt für die perfekte Wellung. Dann brate ich in Öl an und gebe später dick Butter dazu, und dann lasse ich das eben in der schäumenden Butter kreisen und backe es schließlich fertig. Das ist ein Knaller!

Und ich bin absolut gegen Zitrone. Ich verstehe das nicht, warum man dieses wunderbare Gericht mit Zitrone am Ende noch kaputt macht. Die Zitrone war einst dazu da, um vielleicht ein bisschen den Hautgout-Geschmack des nicht mehr ganz frischen Fleisches zu übertünchen. Heute gibt es aber keinen Grund, über diese knusprige goldene Panade Zitronensaft zu schütten. Fürchterlich!

Gibt es Zutaten, die du komplett hasst? Bei mir wäre das zum Beispiel Petersilie.

Ich finde Fenchel ganz schlimm und liebe aber Fenchelsaat, das ist ganz interessant. Fenchelsaat in der Bratwurst ist natürlich die Bombe. Aber Fenchel mag ich nicht, das schmeckt so medizinisch.

Was kommt als Nächstes?

Ich sitze an einem Roman. Die Hälfte ist schon fertig, in diesem Winter soll er finalisiert werden. Er erscheint dann im Herbst auch wieder im Mairisch Verlag. Ich war in den letzten zwei Jahren sehr fleißig, habe viel gearbeitet und gönne mir jetzt tatsächlich eine Auszeit, um den Roman zu Ende zu bringen, weil ich festgestellt habe, dass ich es neben der normalen Arbeit nicht schaffe. Der Kopf ist zu voll. Ich brauche tatsächlich diese Leere im Leben, um dann an so einem großen Stück schreiben zu können.

Ein Roman ist ja etwas wirklich Neues für dich. Sind die Selbstzweifel da größer als bei der journalistischen Arbeit?

Enorm! Ich beobachte mich gerade selber, mit welcher Selbstverständlichkeit ich dir das hier erzähle. In Wirklichkeit bin ich natürlich in Panik aufgelöst, was in den nächsten Wochen und Monaten passieren wird.

Epilog
Il Buongustai

 

Peter Jebsen

4 Antworten

Subscribe to comments with RSS.

  1. […] St. Pauli), Akari (japanisch, Uhlenhorst), Ashoka (indisch, St. Pauli). Zum Weiterlesen: Interview mit Stevan Paul: Schreibender Kulinariker Lecker lesen: Herrn Paulsen seine […]

    Like

  2. […] Interview mit Stevan Paul: Schreibender Kulinariker (815) […]

    Like

  3. […] Stevan Paul (in German): The New Yorker: […]

    Like

  4. […] mit Stevan Paul u. a. über verhasste Zutaten unterhielt. Im persönlichen Gespräch – hier nachzulesen – deutete ich meinen Hass aus Zeitgründen nur kurz an. Hier folgen die […]

    Like


Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..