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Chris Isaak: Return of the Rockabilly Romeo (sowie ein paar Worte über Roy Orbison und Chris‘ Porno-Vergangenheit)

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Falls sich jemand fragt, was Chris Isaak dieser Tage so treibt: Er hat gestern eine wunderbare Doppel-CD mit einem Tribut ans Rhythm- & Blues-, Rockabilly- und Rock’n’Roll-Label Sun Records aus Nashville veröffentlicht. Ein Label, das Künstler wie Carl Perkins, Jerry Lee Lewis, Roy Orbison und auch einen gewissen Elvis Presley bekannt machte. Titel des Tributs: „Beyond the Sun“. Eine kleine Kostprobe gefällig?

Ich habe Chris Isaak in meiner Zeit als Musikjournalist immer mal wieder getroffen und empfand ihn in seiner zurückhaltenden Verschrobenheit als einen der angenehmsten Interviewpartner, mit denen ich zu tun hatte. (Verschrobenheit? Ich kann mich gut an ein Zusammentreffen in einem Hotelzimmer in Hollywood erinnern, bei dem ihm Schweißperlen von der Stirn tropften. Er hatte im Hochsommer die Heizung angestellt, weil er glaubte, dass diese Tropentemperatur seiner Lieblingsgitarre am besten bekommen würde.)

Hier ist ein Interview, das ich vor knapp 20 Jahren für MusikExpress/Sounds geführt habe (Ausgabe 4/93):

Der Rockabilly-Romeo hat zwei aufregende Jahre hinter sich. Nach einer langen Periode des Darbens als ewiger Geheim-Tip verwandelte er sich vom Kult- zum Welt-Star. Die Hit-Single „Wicked Games“, die Isaak-Fan David Lynch für den Soundtrack seines Films „Wild at Heart“ verwendet hatte, sorgte für den Karriere-Kick: Volle Konzertsäle statt Club-Tingelei, MTV statt Studenten-Radio, und nach gelegentlichen Kino-Gastauftritten verpflichtete ihn nun der italienische Regisseur Bernardo Bertolucci für eine Hauptrolle seines Films „Little Buddha“.

Chris Isaak selbst nimmt’s gelassen. Er hat seinen Netter-Junge-von-nebenan-Charme behalten, und im Gespräch gibt er sich unprätentiös – eine Kombination von entwaffnender Naivität und trocken servierten Punchlines. Im Moment dreht er mit Bertolucci in Seattle, mit der lokalen Promi-Szene hat er jedoch nichts am Hut. Statt des Sumpfens in Grunge-Clubs verbringt er seine drehfreien Abende lieber im Hotel mit seiner großen Liebe (seiner Gitarre) – oder mit Interviews.

Der 36jährige Saubermann, der noch nicht mal Kaffee trinkt – ganz zu schweigen von härteren Sachen -, nimmt direkt aus dem Mixbecher einen großen Schluck Frucht-Shake zu sich und sinniert über die Konsequenzen des überraschenden Erfolgs. „Ich konnte mir endlich eine Tournee mit meiner Band leisten – und war trotzdem weiter in der Lage, zuhause meine Miete aufzubringen“, meint er mit leisem Understatement. „Außerdem habe ich den Kredit für meinen Chevy Nova, Baujahr ’64, abbezahlen können. Die nächsten sechs Monate lang brauche ich mir keine Sorgen mehr zu machen – danach muß ich mir wohl wieder einen Job suchen…“

Die Zeiten, in denen er neben seinen Club-Gigs auch noch als Dachdecker oder Anstreicher jobben mußte, dürften jedoch endgültig vorüber sein. Neben der finanziellen Absicherung ist er stolz auf andere, subtilere Früchte des Erfolgs – zum Beispiel traut er sich seit geraumer Zeit, auf dem Firmenparkplatz seines Labels im kalifornischen Burbank unter seinem eigenen Namen zu parken („Lange Zeit dachten sie, ich sei Randy Travis – da ich dadurch immer einen guten Parkplatz erhielt, habe ich sie in dem Glauben gelassen…“).

Ansonsten geht er den Gefahren des Hollywood-Rummels aus dem Weg. Noch immer lebt er in einer stinknormalen Wohngegend von San Francisco, „inmitten von Pensionären und Arbeitern, die mich zum Glück nie nach meiner neuen Platte fragen“. Wenn sich der passionierte Stubenhocker mal nicht zuhause an der Gitarre vergreift, geht er Surfen oder radelt mit seinem Uralt-Drahtesel in Richtung Tonstudio.

In letzter Zeit ist er häufiger mal auf Dienstreise – im Fall der Dreharbeiten zu Little Buddha bis ins nepalesische Katmandu. Chris Isaak mimt in dem Bertolucci-Film den Vater eines Jungen, der für eine Reinkarnation von Buddha gehalten wird. Ein Nebenjob, den er lockerer sieht als seine Musik. „Bertolucci brauchte einen Typen in einem bestimmten Alter, und jemand sagte ihm, ich sei in der Stadt… – Mir selbst ging es eigentlich zu Anfang nur darum, ihn einmal zu treffen“, erzählt Isaak. „Vielleicht war ich einfach billiger als die anderen Kandidaten, und deswegen nahm er am Ende mich.“

Wahrscheinlicher ist allerdings, daß Bertolucci in Isaak einen unterschätzten Kollegen erkannt hatte. Während seiner College-Zeit drehte der kalifornische Exzentriker nämlich in eigener Regie den experimentellen Science-Fiction-Streifen „Forced Journey“, in dem er – aus Budget-Gründen – geklautes Material aus einer Washington-Dokumentation und aus einem Hard-Core-Porno verwurstete. Da er bei der Uraufführung anläßlich eines studentischen Film-Festivals eine eindeutige Vorwarnung vorausgeschickt hatte („Mein Film ist schmutzig, er ist nicht jugendfrei, und er enthält harte Sex-Szenen – wer etwas dagegen hat, so etwas zu sehen, sollte jetzt den Saal verlassen“), die jedoch vom ungläubigen Fachpublikum nicht ernstgenommen wurde, gab es hinterher zur Überraschung des Jungfilmers keine Sanktionen von den Profs. Niemand traute sich, etwas zu sagen.

Chris Isaak greift zur Gitarre und knödelt eine herzerweichende Schnulze vor sich hin. „Das war mein Tribut an Bing Crosby“, meint er hinterher und fügt lachend hinzu: „Wenn ich so etwas im Radio spielen würde, könnte ich mir vorstellen, daß sich in dem Moment 200.000 Leute zur gleichen Zeit sagen: ‚Es ist Zeit, den Sender zu wechseln‘ – Aber ich stehe nun mal auf alle Songs mit einer richtigen Melodie. Wenn ich statt der Stimme nur einen Drum-Computer hören kann, vergiß‘ es!“

Dennoch sind auch an Chris Isaak die 90er Jahre nicht ganz spurlos vorübergegangen. Auf dem neuen Album wurde er endlich schwach: Er gab dem Druck zahlreicher wohlmeinender Berater nach und benutzte zum allerersten Mal selbst eine Schlagzeugmaschine – aber natürlich auf seine Weise. „Ich verwendete ein uraltes Gerät, das noch auf Röhren-Basis arbeitete. Anstatt sie für $60.000 programmieren zu lassen, drückte ich einfach den Knopf und verwendete einen der ‚eingebauten‘ Rhythmen. Für die Aufnahme stöpselte ich die Drum Machine in einen billigen Verstärker – Du hättest den Blick des Toningenieurs sehen sollen!“

Die bittersüße Melancholie seiner Pop-Poesie hat Chris Isaak auf seinem aktuellen Album SAN FRANCISCO DAYS in ein noch kammermusikalischeres Gewand gekleidet – und wieder befürchtet er, der live ganz und gar nicht so schwermütig wirkt wie seine Songs, mißverstanden zu werden.

„Ich hasse es, wenn Leute als Amateur-Psychologen auftreten – vielleicht sind meine Songs traurig, ich habe schließlich auch selbst manchmal solche Stimmungen. Damit meine Musik die Zuhörer nicht zu sehr ‚runterzieht, enthalten meine Texte immer auch eine Spur Hoffnung“, erklärt Isaak das Motto, von dem ihm sein Idol Roy Orbison einmal erzählt habe.

SAN FRANCISCO DAYS ruft in seinen besten Momenten in der Tat Erinnerungen an Roy Orbison wach – ein Vergleich, über den sich Isaak natürlich freut, obwohl er ihm gleichzeitig auch ein wenig peinlich ist: „Well – der einzige Unterschied zwischen Roy Orbison und mir besteht darin, daß er sehr viel origineller und ein sehr viel besserer Sänger war“.

Peter Jebsen

Written by Peter Jebsen

19. Oktober 2011 um 9:01

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